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Erfahrungsbericht: Als deutscher Arzt in der Schweiz

Erfahrungsbericht: Als deutscher Arzt in der Schweiz

Viele deutsche Ärzte möchten gerne in der Schweiz arbeiten, wissen jedoch nicht, was sie in einem Schweizer Spital erwartet und worauf es bei einer Bewerbung dort ankommt. Wir haben ein Interview mit einem deutschen Arzt in der Schweiz geführt und möchten Ihnen im Folgenden einen direkten Einblick in die Besonderheiten des Schweizer Gesundheitssystems und das Thema „Als deutscher Arzt in der Schweiz““ geben! 

Interivew

Lieber Kollege

Sie arbeiten seit 5 Jahren in der Schweiz und haben bereits 16 Jahren Erfahrung als Chefarzt! 

 

Wo sehen Sie die größten Unterschiede (medizinische/technische/organisatorische) zu Deutschland bei Ihrer Arbeit in der Schweiz?

Organisatorisch sind leitende Ärzte (Kaderarzt bzw. ltd. OA) in der Schweiz unabhängiger für Ihren Fachbereich verantwortlich, wobei Chefärzte der konservativen Fächer meist nur gering in die Patientenversorgung eingebunden sind. Dafür übernehmen die Chefärzte viele Managementaufgaben und müssen zu zahllosen Meetings. 

Eine hohe Abstimmung ist dabei nicht zuletzt aufgrund der recht autarken und selbstbewussten Berufsgruppen, insbesondere der Pflege, fortlaufend erforderlich. 

Oberärzte und vor allem Assistenzärzte sind sehr stark in Bürotätigkeiten eingebunden, wobei die Digitalisierung sehr weit fortgeschritten ist und alle Kliniken in der Schweiz voll digitalisiert sind. 

Aus medizinischer Sicht sind Schweizer Ärzte sehr gut, sehr genau (zum Teil übergenau), sehr evidenzbasiert, wobei deutsche Ärzte bei praktisch-fachlichen Tätigkeiten (z.B. Ultraschall oder Interventionen) umfassender ausgebildet sind. Schließlich sollte beachtet werden, dass es in der Schweiz keine Doppelfachärzte gibt (wie z.B. Deutschland: Kardio/Pulmo oder Gastro/Onko). 

 

Was ist aktuell für einen Schweizer Arbeitgeber bzw. Chefarzt wichtig, wenn ein Arzt aus Deutschland sich bei ihm bewirbt?

Das Fachliche wird in der Regel vorausgesetzt und man legt sehr viel Wert auf die Soft-Skills. Diese werden auch regelrecht in vielen Gesprächen vorab und auch später geprüft.

 

Vorausgesetzt, die Qualifikation passt zur Vakanz: Stimmt es, dass man als Facharzt/Oberarzt aus Deutschland erst 2 bis 3 Jahre in der Schweiz arbeiten muss, bis man auf eine Führungsposition hoffen darf? Eine Anstellung direkt als ltd. Oberarzt bzw. Kaderarzt oder sogar Chefarzt ist nur in sehr seltenen Fällen möglich?

Der Wechsel von einer deutschen Oberarztposition auf eine Schweizer CA Position ist nicht möglich. Als CA in Deutschland kann man auch zum CA in der Schweiz (bei langer Führungserfahrung und am besten mit einem MBA) gelangen.

 

Ist die Schweiz nur ein Karrieresprungbrett oder kommen die meisten, um zu bleiben? Würden Sie heute wieder in die Schweiz gehen?

In die Schweiz geht man in der Regel unmittelbar nach dem Studium, oder später, nach der Ausbildung in Deutschland. Ich würde es heute wieder tun, jedoch schon früher, nicht erst mit 54 Jahren. 

Da die Lebenshaltungskosten so hoch sind, reicht der Rentenaufbau erst mit einer Tätigkeit von mindestens 20 Jahren in der Schweiz, um dann in der Schweiz dauerhaft auch nach Berufsende bleiben zu können. 

 

In der Schweiz sind 50h pro Woche üblich, in Deutschland nur 40h! Trotzdem gibt es Ärzte, die die Work-Life-Balance in der Schweiz als besser bezeichnen. Ist es so und wenn ja/nein, wieso? 

Als AA werden 48h erwartet, als OA 50h, als leitender Arzt 55h und als Chefarzt 60h! Die Work-Life-Balance ist in der Schweiz nicht unbedingt besser, da sehr viele Dienste notwendig sind. In der Regel benötigt man mehr Zeit zum Erledigen der Versorgung der Patienten. Daher ist auch der Personalbedarf höher. Allerdings gibt es auch mehr Ruhephasen während der Arbeit (z.B. sichere Mittagspause von 45 min). Vieles, was in Deutschland delegierbar ist, wird in der Schweiz vom Arzt persönlich durchgeführt (Dokumentation etc.). Gleichzeitig ist der Umgang unter den Ärzten sehr höflich und anerkennend.

 

„In der Schweiz verdient man mehr“ – Wahrheit oder nur ein veraltetes Märchen? 

Der Verdienst ist besser, vor allem als Facharzt. Gleichzeitig sind die Beiträge für die Rente (Pensionskasse) deutlich besser (5 bis 6-fache mehr)! 

 

Hatten Sie rasch auch soziale Kontakte – fühlen Sie sich integriert?

Wir hatten sehr rasch zahlreiche Kontakte und inzwischen Freundschaften, vor allem über die Musik, Sport oder Kirche. Aber auch im Haus, in dem wir wohnen, war sofort ein warmherziger Umgang vorhanden: Man hilft sich doch sehr rasch. Wenn man sich ordentlich verhält, sich aktiv beteiligt, wird man sehr rasch angenommen.

 

Was würden Sie dem Arzt in Deutschland empfehlen, wenn er sich für eine Tätigkeit in der Schweiz interessiert? Worauf sollte man unbedingt achten?

Gute Umgangsformen sind ein Muss, denn die Schweiz ist eine Wertegesellschaft! Zurückhaltung wird geschätzt, ein „Bashing“ der Schweiz hingegen ist ein „No-Go“. 

Engagieren Sie sich in Vereinen, der Kirche oder an anderer Stelle in der Gesellschaft. Schließlich sollte beachtet werden, dass die Teilnahme an den Apero`s „Pflicht“ ist, denn dort werden die Netzwerke geknüpft.

 

Wir bedanken uns für Ihre Erfahrungen und Ihre Zeit! 

Sehr gerne! Sie können auch gerne einen persönlichen Kontakt zwischen interessierten Kollegen und mir herstellen.